Dienstag, 5. Juni 2012

Sechster Einsatz


Den Einstieg machten wir heute wieder mit der Szene: „Jens lernt Türkisch“. Wie jedes Mal, wenn wir die Szene spielten, strahlten die Augen der Mitfahrenden mit türkischem Migrationshintergrund, sobald sie mitbekamen, dass ein Deutscher Türkisch lernt. Ein junger Mann setzte sich sogar extra zu Jens, um ihm bei der Aussprache der Worte zu helfen. „Nur nicht den Mut verlieren“ sagte er beim Aussteigen. Als wir die Szene in einem anderen Wagen wiederholten, bat eine Frau mit Kopftuch ihre Tochter, (die ebenfalls ein Kopftuch trug), Jens zu helfen: „Erkläre ihm das, du kennst dich doch aus mit der Grammatik“ sagte sie auf Türkisch zu ihrer Tochter. Bei dieser Szene merken wir immer wieder, wie sich die Menschen mit Migrationshintergrund öffnen, sobald sie merken, dass man sich für ihre Sprache und Kultur interessiert. Sofort entsteht eine lockere Atmosphäre und eine freundlich-offene Kommunikation.
Sehr gut funktionierte heute auch die Szene: „deutsche Muslima“, bei der Ali in der U-Bahn auf seine frühere Bekannte Cordula trifft und sich über ihr Kopftuch wundert. Wir spielten diese Szene heute weniger konfrontativ, d.h. Ali stellte seine Fragen eher neutral: „Ah, das ist ja ganz ungewohnt, dich mit Kopftuch zu sehen“. Trotzdem reagierte Cordula verletzt und begann, sich zu rechtfertigen: „Wieso denn...denkst du, ich mache das nicht freiwillig oder was?“. Nachdem sie ausgestiegen war, mischten sich viele Fahrgäste in die Diskussion zum Thema Kopftuch und Religion ein. Eine junge Polin sagte: „In Deutschland trauen sich nicht einmal Priester mit ihrem Gewand in die Öffentlichkeit. Die Deutschen haben einfach noch nicht gelernt, unterschiedliche Lebens- und Glaubensformen als normal anzusehen“.
Auf den Einwand von Ali hin, manche würden aber auch zum Kopftuch gezwungen werden, entstand eine Diskussion über Freiwilligkeit: „wenn man in eine starke Tradition hinein geboren wird, übernimmt man manches unhinterfragt, ist das dann freiwillig oder nicht?“ warf eine ältere deutsche Frau ein.
Ein Frau aus Brasilien, die perfekt deutsch sprach, früher in Spanien lebte und jetzt in Rom lebt, erklärte, dass der Islam weniger missionarisch sei als das Christentum und belegte dies mit der Geschichte der Besetzung Spaniens durch die Mauren, welche dort den christlichen Glauben der Bewohner respektiert hätten. Die Brasilianerin freute sich über die angeregte Diskussion in der U-Bahn und meinte, dass so etwas in Rom nicht möglich sei, da dort die Menschen viel oberflächlicher wären.
Schon öfter hatten Fahrgäste sich begeistert darüber geäußert, dass in der U-Bahn solche interessanten Gespräche/Begegnungen stattfänden. Dies bestärkt uns in unserer Entscheidung, die Szenen nach dem Spiel nicht als „bloßes Theater“ zu enttarnen.  

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