Freitag, 18. Mai 2012

Der fünfte Einsatz


Heute machten wir die interessante Erfahrung, dass das Publikum umso besser in die Szenen einsteigt, desto positiver die Stimmung ist. In der Szene „Jens lernt türkisch“ half zunächst ein kleiner Junge mit türkischem Migrationshintergrund unserem Schauspieler bei der Aussprache einiger türkischer Wörter. Als Jens einem anderen Fahrgast (Schauspieler) erklärte, dass er türkisch lerne, um sich mit seinen Hausbewohnern besser zu verständigen, war das Eis gebrochen. Es entspann sich eine Diskussion, in die sich nach und nach der ganze Wagen einmischte. Hier ein kleiner Einblick in den Dialog: Ein junger Mann mit Migrationshintergrund: „Das ist toll, dass ein Deutscher türkisch lernt, dann haben wir viel mehr das Gefühl, willkommen zu sein“. „Es sollte überhaupt keinen Unterschied geben zwischen Ländern und jeder sollte jede Sprache lernen“, sagte ein anderer junger Mann mit Migrationshintergrund.
Auf die Frage einer jungen Deutschen: „Aber sollten nicht lieber die Ausländer Deutsch lernen?“ reagierte die Schauspielerin mit Migrationshintergrund, indem sie von ihrer Tante erzählte, die schlechte Erfahrungen mit einem Pflicht-Deutschkurs gemacht hatte, bei dem der Lehrer die Frauen einkaufen geschickte hatte anstatt den Unterricht abzuhalten. „Die Kurse sollten freiwillig sein“, sagte daraufhin eine andere junge Deutsche. „Oder die Kurse sollten so gemacht werden, dass auch ältere Menschen sich angesprochen und respektiert fühlen“, ergänzte die Schauspielerin.
Die anschließend gespielte Szene „besorgter Vater“ funktionierte nicht so gut wie die „lockeren“ Szenen. Nur eine Frau (eine Deutsche) äußerte sich zu der Szene. Sie verstand die Sorgen des türkischen Vaters, wollte sich aber in die Diskussion über Sarrazin und Vorurteile bezüglich der Bildungswilligkeit von Migranten nicht äußern. Daran wurde uns noch einmal klar, dass viele Leute eher bereit sind, sich in eine lockere Diskussion mit positivem Grundton einzubringen als in eine Streitsituation, bzw. eine Diskussion mit schwierigen Themen.
Leicht wiederum gelang uns die Einbindung des Publikums bei der Paarszene („wer macht den Haushalt, der türkische oder der deutsche Freund“). Hier entspann sich eine lebhafte Diskussion unter einer alten deutschen Dame und einem jungen Türken, die beide der Meinung waren, die Hausarbeit ginge jeden etwas an. Die alte Dame: „Mein Mann hat gesaugt und Staub gewischt, das war selbstverständlich“. Der junge Türke: „Ich helfe meiner Mutter auch, wir sind Türken, da ist es normal, dass man in der Familie füreinander da ist“. Auf den Einwand des türkischen Schauspielers hin, dass es ja das Vorurteil gäbe, alle türkischen Männer seien Machos, erklärte der junge Türke, dass ihn dieses Vorurteil ärgern würde, weil es nicht der Realität entspräche: „die Leute sehen nur die Ausländer vom Hermannplatz und denken dann, alle Ausländer sind so. Dabei stimmt das gar nicht.“ „Da haben Sie recht“, bekräftigte sofort die alte Dame.
In einem anderen Wagen äußerte sich eine deutsche Lehrerin zu diesem Thema: „Da gibt es keine kulturellen Unterschiede, das hängt davon ab, wie man gelernt hat, einander zu respektieren und zu unterstützen.“

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