Der heutige Einsatz war sehr erfolgreich. Wir konnten fast
bei jeder Szene das Publikum aktiv einbinden und erhielten viele interessante
Reaktionen.
Nachdem wir die Szenen „Jens lernt türkisch“ und
„Schnittchen“ zum Aufwärmen
gespielt hatten, probierten wir heute zwei neue Szenen aus. Zuerst die
Szene: “besorgter Vater“. In dieser Szene spielt der Darsteller mit türkischem
Migrationshintergrund einen Vater, der per Handy versucht, seinen Sohn davon
abzubringen, die Schule aufzugeben. Der Darsteller setzte sich laut und besorgt
telefonierend neben zwei ältere deutsche Frauen. Nach dem Gespräch
entschuldigte er sich bei ihnen für die Störung durch das Telefonat
(„Entschuldigung, aber ich mache mir solche Sorgen um meinen Sohn“), dann stieg
er aus.
Wir (die als Fahrgäste getarnten Schauspieler) begannen
anschließend mit den beiden Damen sowie mit den Umsitzenden eine Diskussion
über das Vorurteil, Familien mit Migrationshintergrund seien häufig nicht an
der Bildung ihrer Kinder interessiert sowie über Sarrazins Behauptung, Familien
mit türkischem Migrationshintergrund könnten seit Beginn der Einwanderung kaum
Bildungserfolge nachweisen. Die beiden Damen waren voller Empathie mit dem
türkischen Vater und die eine Dame erzählte auch gleich, die Tochter ihrer
türkischen Nachbarin hätte ein sehr gutes Abitur gemacht und würde bereits
studieren. Diese Beobachtung unterfütterte der deutsche Schauspieler mit
Zahlen, die Sarrazins Behauptung widerlegen. Auf den Einwurf einer anderen Dame
hin: „Es gibt aber auch solche und
solche“, entspann sich eine längere Diskussion über den Zusammenhang zwischen
fehlender Unterstützung und schulischen Misserfolgen, der nichts mit der
Herkunft zu tun habe. An dieser Stelle mischte sich ein weiterer Fahrgast (ein
junger deutscher Mann) in die Diskussion: „Auch deutsche Jugendliche bringen
Sechsen nach Hause“, sagte er.
Auch die nächste Szene: „deutsche Muslima“, spielten wir
heute zum ersten Mal. Die deutsche Schauspielerin trägt Kopftuch und trifft in
der U-Bahn einen alten Bekannten wieder (Schauspieler mit türkischem
Migrationshintergrund). Dieser spricht sie auf das Kopftuch an („seit wann
trägst du Kopftuch“) und unterstellt ihr, sie würde dazu von ihrem türkischen
Mann gezwungen. Die deutsche Muslima verteidigt ihr Kopftuch und erklärt, sie
trage es freiwillig und außerdem könne sie diese ganze Kopftuchdebatte nicht
mehr hören. Nachdem sie ausgestiegen war, herrschte im Wagen angespanntes
Schweigen. Die Szene war von allen Umsitzenden und Umstehenden genau verfolgt
worden, aber keiner wagte es, sich in die Diskussion über das Kopftuchtragen
einmischen, die wir anschließend in Gang zu bringen versuchten. Da es uns in
dieser Szene eigentlich darum geht, zu zeigen, dass es wichtiger sei, mit dem
„Menschen hinter dem Kopftuch“ in Kontakt zu treten, als alte Vorurteile
aufzuwärmen, wollen wir die Szene nächstes Mal so spielen, dass der türkische
Bekannte keine Kritik an dem Kopftuch äußert. Es soll mehr um das Bedürfnis der
deutschen Muslima gehen, jenseits des Kopftuches als Mensch geachtet zu werden.
Ebenfalls zu einer breiten Diskussion unter Fahrgästen
führte die Szene mit dem Thema:“ kulturelle Unterschiede“, in der die deutsche
Lehrerin sich über mangelnden Respekt bei einem Schüler mit arabischem
Migrationshintergrund beklagt, der sie nie anschauen würde. Nachdem die
Schauspielerin mit arabischem Migrationshintergrund (als Fahrgast) die Lehrerin
darauf hingewiesen hatte, dass es sich hierbei um ein kulturelles
Missverständnis handeln könne, mischte sich eine Mitfahrerin ein (eine deutsche
Frau) und es gab eine längere Diskussion über die Probleme, die manche Kinder
mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen hätten, sowie über mögliche
Ursachen und Lösungsansätze.
An der insgesamt regen Beteiligung der Fahrgäste merkten
wir, dass wir immer routinierter werden. Wir hatten heute großen Spaß an dem
Einsatz.
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