Donnerstag, 17. Mai 2012

Der vierte Einsatz


Der heutige Einsatz war sehr erfolgreich. Wir konnten fast bei jeder Szene das Publikum aktiv einbinden und erhielten viele interessante Reaktionen.
Nachdem wir die Szenen „Jens lernt türkisch“ und „Schnittchen“ zum Aufwärmen  gespielt hatten, probierten wir heute zwei neue Szenen aus. Zuerst die Szene: “besorgter Vater“. In dieser Szene spielt der Darsteller mit türkischem Migrationshintergrund einen Vater, der per Handy versucht, seinen Sohn davon abzubringen, die Schule aufzugeben. Der Darsteller setzte sich laut und besorgt telefonierend neben zwei ältere deutsche Frauen. Nach dem Gespräch entschuldigte er sich bei ihnen für die Störung durch das Telefonat („Entschuldigung, aber ich mache mir solche Sorgen um meinen Sohn“), dann stieg er aus.
Wir (die als Fahrgäste getarnten Schauspieler) begannen anschließend mit den beiden Damen sowie mit den Umsitzenden eine Diskussion über das Vorurteil, Familien mit Migrationshintergrund seien häufig nicht an der Bildung ihrer Kinder interessiert sowie über Sarrazins Behauptung, Familien mit türkischem Migrationshintergrund könnten seit Beginn der Einwanderung kaum Bildungserfolge nachweisen. Die beiden Damen waren voller Empathie mit dem türkischen Vater und die eine Dame erzählte auch gleich, die Tochter ihrer türkischen Nachbarin hätte ein sehr gutes Abitur gemacht und würde bereits studieren. Diese Beobachtung unterfütterte der deutsche Schauspieler mit Zahlen, die Sarrazins Behauptung widerlegen. Auf den Einwurf einer anderen Dame hin:  „Es gibt aber auch solche und solche“, entspann sich eine längere Diskussion über den Zusammenhang zwischen fehlender Unterstützung und schulischen Misserfolgen, der nichts mit der Herkunft zu tun habe. An dieser Stelle mischte sich ein weiterer Fahrgast (ein junger deutscher Mann) in die Diskussion: „Auch deutsche Jugendliche bringen Sechsen nach Hause“, sagte er.
Auch die nächste Szene: „deutsche Muslima“, spielten wir heute zum ersten Mal. Die deutsche Schauspielerin trägt Kopftuch und trifft in der U-Bahn einen alten Bekannten wieder (Schauspieler mit türkischem Migrationshintergrund). Dieser spricht sie auf das Kopftuch an („seit wann trägst du Kopftuch“) und unterstellt ihr, sie würde dazu von ihrem türkischen Mann gezwungen. Die deutsche Muslima verteidigt ihr Kopftuch und erklärt, sie trage es freiwillig und außerdem könne sie diese ganze Kopftuchdebatte nicht mehr hören. Nachdem sie ausgestiegen war, herrschte im Wagen angespanntes Schweigen. Die Szene war von allen Umsitzenden und Umstehenden genau verfolgt worden, aber keiner wagte es, sich in die Diskussion über das Kopftuchtragen einmischen, die wir anschließend in Gang zu bringen versuchten. Da es uns in dieser Szene eigentlich darum geht, zu zeigen, dass es wichtiger sei, mit dem „Menschen hinter dem Kopftuch“ in Kontakt zu treten, als alte Vorurteile aufzuwärmen, wollen wir die Szene nächstes Mal so spielen, dass der türkische Bekannte keine Kritik an dem Kopftuch äußert. Es soll mehr um das Bedürfnis der deutschen Muslima gehen, jenseits des Kopftuches als Mensch geachtet zu werden.
Ebenfalls zu einer breiten Diskussion unter Fahrgästen führte die Szene mit dem Thema:“ kulturelle Unterschiede“, in der die deutsche Lehrerin sich über mangelnden Respekt bei einem Schüler mit arabischem Migrationshintergrund beklagt, der sie nie anschauen würde. Nachdem die Schauspielerin mit arabischem Migrationshintergrund (als Fahrgast) die Lehrerin darauf hingewiesen hatte, dass es sich hierbei um ein kulturelles Missverständnis handeln könne, mischte sich eine Mitfahrerin ein (eine deutsche Frau) und es gab eine längere Diskussion über die Probleme, die manche Kinder mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen hätten, sowie über mögliche Ursachen und Lösungsansätze.
An der insgesamt regen Beteiligung der Fahrgäste merkten wir, dass wir immer routinierter werden. Wir hatten heute großen Spaß an dem Einsatz.






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